Der Neue Mann vernetzt sich
Mein erster Blogbeitrag seit langem ist dem Thema Vernetzung gewidmet. Aber zuerst ein paar Worte zu meinem Schweigen in jüngster Zeit. Ich merke, dass mich die ganze Situation um Corona, die Diskussionen darüber und die Spaltung unserer Gesellschaft durch das Thema etwas blockiert haben. Ich wollte nicht mehr darüber schreiben – und andere Themen traten etwas in den Hintergrund. Darunter ziehe ich jetzt einen dicken Strich und widme mich wieder meinen angestammten Themen. Denn sie sind nach wie vor relevant. Sie sind mir nach wie vor wichtig. Und ich sehe weiterhin „Bedarf“.
Ein anderer Grund war, dass ich mich bezüglich Männerthemen und Männerarbeit in eine etwas andere Richtung bewege. Ein kurzer Blick zurück:
Es war an einem Seminar vor sechs Jahren. Wie immer war ich einziger Mann unter Frauen, wenn es um Meditation, Achtsamkeit und Bewusstsein ging. Ich erwachte mitten in der Nacht und konnte nicht mehr einschlafen. Da war etwas, das angeschaut werden wollte. Also habe ich mich aufgesetzt, habe meditiert und bin diesem Gefühl nachgegangen. Es dauerte nicht lange, da kam ganz klar das Bild oder die Vision, dass ich „etwas für Männer tun“ müsse. Die Männerwelt hat es dringend nötig, dass sie sich auf den Weg des Bewusstseins macht. Genau, die Männer und die Welt haben es nötig. Und es wurde auch gleich klar, dass ich ein Blog zu Männerthemen machen würde. Keine Woche später ging ich mit dem ersten Beitrag im Blog „Männerherz“ online.
Im Verlauf der Jahre sind einige Beiträge entstanden, die sich zunächst vor allem um die Themen Achtsamkeit und Bewusstsein drehten und in einem zehnteiligen Beitrag „10 Regeln zum Glück“ zusammengefasst sind.
Ein nächster Schritt erfolgte vor vier Jahren, als mich Hannes auf die Manngeburt aufmerksam machte und mir so die Türe zu konkreter Männerarbeit und verstärkt zum Thema Mannsein öffnete. Es folgte die Manngeburt und meine Hinwendung zu einem etwas mehr geerdeten Ansatz. Wir schlossen uns als Männerwelten zusammen, gründeten einen Verein und entwickelten Angebote für Männer. Hier geht es in kleinen Schritten vorwärts – aber wir sprechen immer wieder darüber, dass die Männerwelt sich noch zu wenig auf die unserer Ansicht nach wichtigen Themen einlässt. Wir wollen Männer in Bewegung bringen, haben wir uns zum Ziel gesetzt.
Aber wenn wir in die Welt schauen, wenn wir sehen, wie die meisten Männer leben – nämlich im Hamsterrad von Erwartungen und Ängsten, unbewusst und dem Materiellen verhaftet – dann empfinden wir unser Wirken als ein Tropfen auf den heissen Stein. Manchmal sehe ich jüngere Männer, die das Neue bereits wie selbstverständlich leben. Die ihr Herzensprojekt durchziehen, sich ihrem Vatersein intensiv widmen, eine gleichberechtigte Beziehung leben. Ich denke, dass es der jüngeren Generation leichter fällt. Aber noch längst nicht alle sind so weit. Wie viele Männer leben unbewusst und sind verunsichert? Haben nicht gerade auch junge Männer heute Mühe, ihren Platz zu finden? Ihre Rolle im Leben zu finden? Fehlten nicht auch ihnen die Vorbilder, die zeigen können, was es auch noch gibt oder wie ein erfülltes Leben aussieht?
Auch wenn es also durchaus ermutigende Zeichen gibt, bin ich weiterhin überzeugt, dass gerade wir Männer in unserer Gesellschaft einen grossen Schritt tun müssen. Unserem Planeten Erde geht es nicht gut – und wir sind daran schuld. Unsere männerdominierte Gesellschaft und Wirtschaft haben den Planeten an den Rand des Untergangs gebracht. Wir haben geglaubt, wir sollten uns die Erde Untertan machen und haben sie behandelt, also ob es mehrere davon gäbe. Wir haben den Bezug zur Natur weitgehend verloren. Wir haben den Bezug zu unserem Herz und unserer Seele verloren. Wenn ich manchmal die Menschen so betrachte – herz- und seelenlos – dann denke ich, dass uns die Künstliche Intelligenz schon bald überholen wird. Denn rechnen und kühl analysieren kann die besser als wir. Aber wir sind so viel mehr.
Und viele Männer sind total verunsichert. Sie dürfen nicht (mehr) Macho sein und sollen auch keine Weicheier oder Waschlappen sein. Den alten Frauenheld, den Macker, der alles weiss und alles kann, will niemand mehr haben. Männer sollen Gefühle zeigen, liebevolle Väter sein, verständnisvolle Partner und doch sollen sie selbstbewusst, stark, durchsetzungsfähig, aggressiv und wissend sein. Sie sollen keine Softies, keine Schlappschwänze sein. Lauter Widersprüche! Wie soll man sich da noch auskennen? Es gibt dann Männer, die sich quasi aus dem Rennen nehmen. Die sich entweder in einer Gruppe Gleichgesinnter zurückziehen und nur noch über die Welt und die Weiber wettern. Die #metoo-Debatte hat das noch verstärkt. Jeder Mann ist ein potentieller Vergewaltiger. Und ja, viele Männer haben grundsätzlich ein Gewaltproblem. Wer dann aber seine Aggression unterdrückt, sie ins Unbewusste verdrängt und nur noch gut und lieb sein will, der schneidet sich von seiner Kraftquelle ab. Dieser Mann wird dann eben zum Waschlappen, den dann doch niemand haben will. (Dagegen hilft übrigens das Seminar Wut – eine Herzensangelegenheit).
Und was können wir tun? Was sich als kompletter Widerspruch anhört und anfühlt, ist in Wirklichkeit sehr vielschichtig und durch unsere Gesellschaft extrem verkompliziert worden. Wir müssen wieder zurück zu unseren (gesunden) Wurzeln. Dabei müssen wir viel Mist und Schlacke wegschaffen, müssen den Sumpf trockenlegen, in dem wir feststecken. Wir müssen uns unseren Schattenseiten stellen, den unterdrückten Anteilen, und ihnen furchtlos begegnen. Und was besonders wichtig ist: Wir müssen das für uns und bei uns tun, nicht wegen einer Partnerin oder um anderen zu gefallen. Es ist wie im Märchen: erst wenn wir den Drachen besiegt haben, können wir König werden und kriegen die Prinzessin als Königin zur Frau. Du musst also zuerst König werden in deinem Reich. Das bedeutet viel Arbeit und einige Schlachten, die du zu schlagen hast und gewinnen musst.
Das ist wichtig für dich und wichtig für unsere Welt. Wir brauchen solche reifen Männer, wahre Erwachsene, die die Verantwortung für ihr Leben in die Hand genommen haben. Mit deiner Entwicklung wird auch die Welt eine bessere. Ein solcher Neuer Mann behandelt seine Mitmenschen mit Respekt. Er bringt Bewusstsein und Liebe in diese Welt und in seine Beziehungen. Das ist extrem wichtig und extrem nötig. Und so fragen wir uns immer wieder, wie wir mehr Männer erreichen können.
Letztes Jahr besuchte ich am Abend ein virtuelles Referat von Mario Meier zum Thema „Der Neue Mann“. Er sprach mir völlig aus dem Herzen und inspirierte mich. Dann kam wieder eine Nacht, in der ich aufwachte und nicht mehr einschlafen konnte. Da war etwas, dem ich mich auf dem Meditationskissen zuwandte. Die Vision war wieder ganz klar: ich will ein Buch schreiben zum Neuen Mann. Und weiter: ich bzw. wir mit Männerwelten müssen uns stärker vernetzen. Und es entstand ein Konzept für ein Buch, ein Sammelband, eine Plattform zum Vernetzen und Ausbauen der Community. Diese Vision teilte ich mit Hannes, der sofort begeistert einstieg.
Das war vor etwa einem Jahr. Mittlerweile ist das Buchprojekt in den Hintergrund getreten, dafür steht die Vernetzung im Vordergrund. Wir haben unsere Idee zuerst einzelnen Männern präsentiert. Es kamen immer mehr hinzu, die Vision veränderte und verfeinerte sich. Wir drehten eine Runde, verloren wieder einige Begleiter. Aber schliesslich kristallisierte sich eine Gruppe von acht Männern heraus, die nun gemeinsam die Idee vom Männer Netzwerk Schweiz konkretisiert. Wir werden in den nächsten Wochen mit unserer Idee und Plattform online gehen. Stay tuned!