Vom kleinen, feinen Unterschied!
Anleitung zur Selbsterforschung von Sabine Schröder
Dieser Text kann einfach gelesen, oder als Anregung zur Selbsterforschung verstanden werden. Solltest du an Letzterem interessiert sein, dann empfehle ich dir, bevor du weiterliest einen Zettel und einen Stift bereit zu legen, um deine Antworten notieren zu können.
Die erste Frage lautet: Was taucht auf, wenn du das Wort: „beruhigen“ liest?
Wenn du aktiv forschen magst, dann leg jetzt los. Lass dich möglichst ungefiltert alles niederschreiben, was dir im Kontakt mit dem Wort "beruhigen" unterkommt. Dabei möchte ich dich erinnern, auf deine Körperreaktionen zu achten und auch hierfür Worte zu finden.
Ich selbst bin vor ein paar Wochen auf eine Prägung in mir gestoßen. Es fühlt sich an wie ein Automatismus oder vermutlich kann man es auch eine Gewohnheit nennen bezüglich meiner Reaktionen, wenn mich „etwas“ aufregt. Wenn ich mich persönlich getroffen, verkannt, ignoriert, missverstanden und darüber verletzt fühle – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Reflexhaft entsteht dann Stress in mir, mein vegetatives Nervensystem fährt über den Sympatikus hoch, mein Solarplexus macht dicht, meine Überlebensstrategien werden aktiviert.
Dann tauchen in mir Sätze auf wie:
"Beruhige dich!"
"Stell dich nicht so an!"
"Sei nicht so empfindlich!"
"Ist doch gar nicht schlimm!"
"Reg dich nicht auf" bzw. "Reg dich ab!"
"Schon wiiieder!!!!"
"Das bildest du dir ein!"
"Du bist viel zu emotional...."
Eine frühkindlich erlernte Überlebensstrategien ist der Versuch, mich durch Selbstmanipulation zu beruhigen und den Stress zu reduzieren. Denn - so ist es abgespeichert - Aktivierung ist falsch, es könnte (noch) schmerzhafter werden und die Gefahr des Kontrollverlustes (ausgeliefert zu sein) ist groß. Also nichts wie 'runter mit der Aktivierung! Luft anhalten bzw. so wenig wie möglich atmen. Selbstunterdrückung als Gewohnheit.
Gaslightning
Der Begriff "Gaslightning" in der Psychologie entstammt einem Theaterstück "Gas Light" von 1938. Er dient als Metapher dafür, wie ein Mensch durch psychische Manipulation in seiner/ihrer Wahrnehmung (Selbst oder Umwelt) tiefgreifend verunsichert wird. Die Wahrnehmung wird von außen (durch andere Personen) solange konsequent und scheinbar logisch in Frage gestellt, dass die betroffene Person an der inneren Zerrissenheit verzweifelt oder darin kollabiert, quasi "einfriert", um sich zu retten. Schlimmstenfalls führt das zu echter psychischer Erkrankung.
Weniger massiv, jedoch nicht weniger tiefgreifend und nachhaltig kann ein schleichender Lernprozess darin bestehen, diese Manipulationen zu übernehmen und in sich selbst fortzusetzen. Die ursprüngliche Wahrnehmung, das "Bauchgefühl", wird innerlich permanent bezweifelt. Statt dessen dominieren eine innere Soll-Instanz, eine Art "Über-Ich". Oder es werden äußere "Realitäten" und Maßstäbe beziehungsweise maßgebliche Menschen aufgesucht und (wichtig!) erhöht. Diese Selbstmanipulation wird manchmal auch "Self-Gasligtning" genannt.
Was könnte das mit dir zu tun haben?
Manche von uns haben als Kinder nicht erfahren, dass das, was wir erleben und fühlen wahr ist und sein darf, sondern wurden stattdessen damit verunsichert und in Frage gestellt. Vielleicht haben wir dadurch gelernt, dass an unser Wahrnehmung etwas nicht stimmt und wir ihr nicht trauen können. So kann es zu einer alltäglichen Gewohnheit werden, dem eigenen Erleben zu misstrauen. Da die Verunsicherung tief sitzt und schwer auszuhalten ist, spalten wir uns von unseren wertvollen und wichtigen Informationen/Signalen in uns selbst ab. Wir lernen anderen mehr zu glauben als uns selbst.
Um das wieder zu verlernen und die eigenen Impulse wieder wahr- und ernstnehmen zu lernen, dienen die Körpererfahrungsräume, die ich so gerne öffne, achtsam begleite und halte.
Beruhigung und Regulation
Hier kommt nun der kleine, feine Unterschied. Was unterscheidet Beruhigung von Regulation?
Meine Worte dazu:
Beruhigen hat den Fokus auf Ruhe, Dämpfung, Vermeidung, Ablenkung. „Etwas“ soll nicht gefühlt werden, sondern das Fühlen wird möglichst vermieden. Funktionieren steht im Vordergrund. Harmonie um jeden Preis. Gefühle werden eher unterdrückt als erlebt. Was stört, soll verschwinden. Ruhe! Möglichst sofort. "Beruhige dich!" im Sinne von "Pack' deine Gefühle wieder ein!"
Regulieren des Gefühlserlebens, der Affekte und des Nervensystems hingegen bedeutet, statt etwas "wegzumachen" (die Emotionen) im Gegenteil etwas hinzuzufügen, nämlich bewusste Wahrnehmung und unterstützende Ressourcen. Wenn ich bei dem bleibe, was hier und jetzt geschieht und mir Gutes für meine innere Stabilität und Erdung tue, dann kann ich diesen Raum halten und meine Emotionen bewegen statt zu erstarren oder mich zu dämpfen. So kann sich mein System in seiner Zeit (wichtig: das kann dauern. Bei mir geht es, wenn mich etwas heftig getroffen hat, bis in den nächsten Tag) entspannen und durchaus auch beruhigen - aber eben nicht "gemacht" (manipuliert), sondern organisch von innen heraus.
Selbstregulation bedeutet Fühlen zuzulassen. Sie benötigt Raum und Zeit, die innere Erlaubnis sich an einen sicheren Ort zurückzuziehen, um sich auf den verletzten Anteil einzuschwingen und für diesen mit Mitgefühl und Selbstfürsorge da zu sein. Als wir noch klein waren, haben wir hierfür unsere Bezugspersonen gebraucht. Waren unsere Eltern in der Lage uns hierbei zu helfen, haben wir es auch heute als Erwachsene leichter damit. Doch nicht alle hatten diesen Glück.
Die gute Nachricht ist: wir können das lernen.
Wichtig und hilfreich hierfür sind positive, unterstützende Erfahrungen mit anderen Menschen.
Was ich damit jedoch nicht meine ist, dass wir heute als erwachsene Menschen grundsätzlich unsere Regulation in die Verantwortung anderer Menschen übergeben. Es gehört für mich zu einem bewussten er-wachsen (nach-)zu lernen, wie Selbstregulation möglich werden kann. Sichere Erfahrungs- und Begegnungsräume in Einzelsettings oder Seminaren (nicht online!!), in denen mit allen Sinnen neue, gute Erfahrungen gemacht werden können bieten wertvolle Hilfestellungen auf dem Weg zu mehr Selbstregulation und Kontaktfähigkeit mit uns selbst und anderen.
Ich wünsche dir einen stimmigen Jahresübergang, nah bei dir - in Verbundenheit und ein gesegnetes Neues Jahr. Gerne begleite ich dich auch 2025 ein (weiteres) Stück deines Weges.
Herzliche Grüße
SAbine
Link zum Video: Sabine Schröder Porträt
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